Für gewöhnlich wird visuelle Kunst vor allem als (Re-)Organisation des Raums gedacht, derweil sich Musik mit Zeitlichkeit auseinandersetzt, entlang oder auch entgegen temporaler Gesetzmäßigkeiten gemacht und genossen werden soll. Mit dem Projekt »Painting in 3D« überschreitet das Berliner Trio Painting die Grenzen zwischen den beiden Kunstformen und vereint, was sie vermeintlich voneinander trennt. Ihr Debütalbum »Painting Is Dead« auf dem Label Antime umfasst fünf Stücke, die eine Tür hin zu digitalen Räumen eröffnen, welche das Publikum über die Länge der Songs hinweg erkunden kann. Gemeinsam mit der Medienkünstlerin Paula Reissig hat die Gruppe ein dreiteiliges Projekt lanciert, das als von der Multimedia-Künstlerin gestaltetes Computerspiel, als hybride und audio-visuelle Live-Show sowie auf Schallplatte erfahrbar gemacht wird, wobei die Vinyl-Version die physische Welt mit virtuellen Realitäten genauso wie analoge Medien mit den Möglichkeiten digitaler Technologien engführt. Auf Basis einer breiten musikalischen Palette, die experimentellen Rock und elektronische Avantgarde-Klänge ebenso umfasst wie unkonventionelle Pop- und Jazz-Ansätze bietet das Album »Painting Is Dead« eine vielschichtige musikalische Mischung, die sich nahtlos in das Gesamtprojekt integriert und doch für sich steht.
Nach der Auflösung ihrer Band Soft Grid gründeten Theresa Stroetges und Christian Hohenbild die Band Painting gemeinsam mit Sophia Trollmann, die zuvor bereits auf einem von Stroetges’ Soloalben unter dem Namen Golden Diskó Ship Saxofon gespielt hatte. Der Leadgesang Stroetges‘ wird von den Vocals der beiden anderen Mitglieder ergänzt und auch tragen alle drei eine Bandbreite von akustischen und elektronischen Sounds zum Sound der Band bei: Trollmann spielt überwiegend Saxofon und gelegentlich Synthesizer, Hohenbild ergänzt vom Schlagzeug aus die Mischung mit Elektronik und Stroetges wechselt zwischen E-Bass, Gitarre und Synthesizern. Das unkonventionelle Set-up spiegelt den Ansatz einer Band wider, die sich während der Pandemie gründete und die Gelegenheit ergriff, um während der Schließung von Konzertstätten die Live-Präsentation ihrer Stücke radikal zu überdenken. Mithilfe von Reissigs begehbaren digitalen Orten erweitern sie die bloße musikalische Erfahrung, derweil sie genauso das gemeinhin limitierte Format der Vinyl-LP durch die Möglichkeit ergänzen, die virtuellen Rauminstallationen durch ihre Musik hindurch zu erleben.
Es überrascht deshalb wohl kaum, dass sich Painting auch inhaltlich mit Binaritäten auseinandersetzen, genauer denjenigen, welche das Leben von Frauen und insbesondere queerer Menschen im patriarchalischen System prägen. Angefangen mit »Symmetrical Pattern« und seiner kanonähnlichem Eröffnungssequenz, in der sich drei Stimmen im Wechsel damit auseinandersetzen, wie heteronormative Strukturen die Beziehungen zwischen zwei Menschen determinieren, hin zum Song »All My Eggs Go Down the Drain«, der sich mit den Erwartungserhaltungen an Personen befasst, denen konventionellerweise die Rolle der Fortpflanzung zugeschrieben wird, beleuchtet »Painting Is Dead« Systeme der Unterdrückung, stellt ebenso aber klare Forderungen: »We need a new framework / And for this framework / We need a new skin.« Diese Haltung hallt in Songs nach, welche die Grenzen des traditionellen Songwritings aufsprengen. In der Musik von Painting lassen sich keine falschen Symmetrien ausmachen, sondern stattdessen sich von Takt zu Takt neu generierende musikalische Konstellationen.
Das Trio nimmt sich die Zeit – zwischen fünf und elf Minuten sind die Songs auf »Painting Is Dead« lang –, um akustische Klänge, Call-and-Response-Gesangsstrukturen zwischen cleanen oder technologisch manipulierten Stimmen, elektronischen Experimenten und spannungsgeladenen Rhythmen in dynamische Collagen zu überführen, die sich stetig fortbewegen, die von einem Punkt zum nächsten walzen und gelegentlich eine Abzweigung in bisher unerforschte Gebiete nehmen. »Painting Is Dead« eröffnet mit musikalischen Mitteln neue Klangräume, die in Kombination mit den begleitenden Visuals und den dem Publikum offenstehenden digitalen Räumen eine immer wieder andere Hörerfahrung bieten. Als Teil des »Painting In 3D« handelt es sich dabei nicht allein um ein Stück eines größeren Puzzles, sondern eine vielseitige Einheit, die ebenso geschlossen für sich selbst steht, wie sie sich radikal anderen Kunstformen und Erfahrungsweisen öffnet.