Konkret findet dieses Großevent in Clubs und Popup-Locations rund um die zentrale Straße in St. Pauli (korrekt: auf St.Pauli) statt. Tagsüber ist das RBF eine Konferenz, abends ein Musikfestival. Im Zentrum stehen Themen der Musik- und Veranstaltungswirtschaft, das Rahmenprogramm reicht jedoch von der Siebdruckposter-Messe bis zur Diskussion gesellschaftlicher Schwerpunkte, wie Nachhaltigkeit, Diversität oder Künstliche Intelligenz. Dazu vier Tage, 80 Clubs, 400 Live Acts, 5.000 Konferenzteilnehmende plus knapp 50.000 Besucher:innen (zuzüglich der paar Leute, die eh auf der Reeperbahn sind). Klingt fordernd, aber getreu einem Slogan, der vor Ort fiel: "go hard or go home".
Die Inhalte im Konferenzteil waren mannigfaltig. Im Talk erhielt man Informationen von und über Legenden (Tony Visconti). Hunderte Panels machten die Auswahl schwer. Der eigene Horizont wurde meistens erweitert, wobei das Spektrum zwischen erwartbaren Momenten ("Wir verstehen euch nicht ... GenZ"), und erschreckendem Erkentnissgewinn lag ("Tik Tok Trends für die Musikbranche"). Erschreckend übrigens im wörtlichen Sinn! Müssten wir demnächst mal vertiefen. Mit Interesse wurde der Vortrag "Gekränkte Männlichkeit, Internet und Misogyner Terror" verfolgt. Insgesamt bekam Diversität nicht nur viel Raum im Konferenzteil, sondern auch auf den Bühnen der Nächte. Konsequent, denn das RBF ist Gründungsmitglied von "Keychange Pledge". Dabei handelt es sich um ein Netzwerk, welches sich zum Ziel gesetzt hat, Festival Line Ups paritätisch mit Frauen und Gender Minorities zu besetzen.
Womit wir bei der Musik sind. Im ersten Moment war ein Überhang zum Indie zu vermuten, was bei näherer Betrachtung aber ein Trugschluss war. Das Festivalprogramm kam facettenreich daher, Bands spielten in der temporär ausgeräumten Sparkassenfiliale (Hanna Noir) oder in der Elbphilharmonie (Altin Gün). Zu erleben waren wenige "Headliner" (The Hives), vereinzelte Geheimkonzerte (KIZ), Altvordere (Billy Bragg) sowie viele Newcomer:innen von nah und fern und - äußerst divers. Hypnotischer Dessert Rock aus Niger (Etran de L’Aïr), experimentelle Klangkunst (Moritz Fasbender) oder edwinrosenhafter Sound (Flawless Issues) bilden nur einige Fixsterne des reeperbahnischen Klangkosmos ab. War interessant, absolute Überraschungen fehlten jedoch. Ganz wichtig für die Musikindustrie schien Hyper Pop: 2000er Rave Kirmes mit angetäuschten Schlagertexten auf Autotune. Ein hörbarer Generationenkonflikt. Unsere Highlights waren so verschieden wie unsere Geschmäcker:
Frank machte Augen bei Augn. "Eine Mischung aus Sleaford Mods, Heinz Strunk, Deichkind und Sunn o)), eigentlich ein (Anti)statement zum Treiben der Musikindustrie". Levi fühlte sich von Cherise tief berührt. Jazziger Soul, nur Gesang und Akustikgitarre, auf einer Theaterbühne mit Wohnzimmerdeko. Sehr intim, sehr bewegend. Ole verfolgte das Treiben von Pongo und Crew. Angola ist sowohl die Wurzel der Künstlerin als auch des dargebotenen Musikstils Kuduro. Mit DJane, Drummerin und zwei Tänzerinnen verstärkt, erteilte Engrácia Domingues aka Pongo dem Mojo-Club Tanzlektionen. Bemerkenswert insofern, als das Kuduro sich mit "Harter Arsch" übersetzen lässt und das Publikum eher schon etwas gesetzter war. In Kombination sowas wie Dancehall trifft auf Ü40-Party. Soundtechnisch aber ohnehin eher was für Bewegungsaffine.
Wir verlebten kurzweilige vier Tage im Generation Clash zwischen Heritage Acts und Tik Tok Sternchen mitten auf`m Kiez. Die Reeperbahn ist ein Moloch, im Vergleich ist die Alaunstraße dann doch ein Waldweg. Gut, um sich mal zu tarieren, wenn man es in der Dresdener Neustadt zu anstrengend findet. Schon dafür hat sich die Reise gelohnt. Und für das top Hotel. Und natürlich fürs RBF an sich. Schöne Sache, nächstes Jahr wieder.
Fotos auf Facebook | Instagram
Ticketreservierungen sind leider nicht möglich.
Alle Ticketpreise verstehen sich inkl. MwSt. und zzgl. VVK-Gebühr; Gebühren können je nach Verkaufsstelle abweichen.